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Meine Yacht, die hat vier Räder

Wohnmobil-Boom: Das Verreisen mit dem Schrebergartenhaus auf Rädern wird immer beliebter. Billigurlaub ist das aber keiner

Wien – Billig ist das aber auch nicht mehr, oder? Das ist die häufigste Reaktion auf die Bemerkung, man fahre mit dem Wohnmobil auf Urlaub. Klar, man denkt sofort an Camping, und das wiederum wird mit Billigurlaub assoziiert. Dabei ist alles ganz anders. Wer einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, muss Urlaub nehmen, wenn er mit einem Wohnmobil verreisen will. Urlaub ist das deswegen aber noch lange keiner. Man führt einen Haushalt, und das auch noch durch die Gegend.

Die Branche brummt

Trotzdem entscheiden sich immer mehr Leute für den Kauf eines Wohnmobils oder, nobler gesagt, Reisemobils, das zeigt zumindest der Geschäftsgang der Branche. Noch nie zuvor wurden so viele Wohnmobile verkauft wie heute. Die jährlichen Zuwachsraten in Deutschland liegen im zweistelligen Prozentbereich. Dabei steht Österreich dem deutschen Nachbarn um nichts nach, obwohl die Normverbrauchsabgabe die Autos hierzulande kräftig verteuert. Wohnmobilmessen ziehen ein Massenpublikum an. Derzeit findet gerade der Caravan Salon in Düsseldorf statt, was auf Autodimensionen umgelegt etwa dem Frankfurter Automobilsalon entspricht. Von 19. bis 23. Oktober folgt dann der Caravan Salon in Wels.

Ducato statt Transit

Mindestens 50.000 Euro kostet ein Neuwagen, eher 100.000, wenn’s ein bissl was Besseres sein soll. Dabei gibt es kaum einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Größe und Preis. Auf die Ausstattung kommt es an. Der Wertverlust ist so gering, dass ein Wohnmobil in der Regel nach zehn Jahren noch immer mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Neupreises kostet. Letztendlich sitzt der Fahrer dann mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Fiat Ducato oder in einem seiner französischen Derivate, viel seltener in einem Ford Transit, und nur wenige leisten sich ein Modell auf Basis Mercedes Sprinter.

Ah ja, an dieser Stelle ist ein wenig Aufklärung nötig: Man muss streng unterscheiden zwischen Campingbus und Wohnmobil. Es gibt zwar keine amtliche Definition, aber erst wenn ein Fahrzeug eine eigene Nasszelle hat, spricht man von einem Wohn- oder Reisemobil. In einem VW-Bus, Mercedes V-Klasse oder Transit Custom in Campingausführung ist nur Katzenwäsche möglich. Dafür kommt man mit diesen Autos in die meisten Tiefgaragen hinein, wenn sie ein Klappdach haben.

Teil- und Vollintegrierte

Besonders beliebt sind Wohnmobile auf Kastenwagenbasis, weil sie die Robustheit der serienmäßigen Blechkarosserie bieten, etwas schmäler und wendiger und auch schon in voller Ausstattung zu haben sind. Das beste Verhältnis zwischen Wohnqualität und Preis bieten aber sogenannte Teilintegrierte, das ist ein Fahrerhaus vom Autohersteller mit Leiterrahmen und aufgesetztem Häuschen aus Holz- oder Alurahmen und Styropor mit einer Haut aus Alublech und Kunststoff. Die sogenannten Vollintegrierten stellen das Luxussegment dar.

Über die Kosten von Wohnmobilurlauben kann man in jedem Fall nur nobel hinwegsehen. Wenn man sich eines ausborgt, kommt man in der Hochsaison kaum unter 150 Euro pro Tag davon. Da bist du noch keinen Meter gefahren und auch noch nirgends gestanden. Trotzdem oder gerade deswegen stellt das Reisen mit dem Wohnmobil eine neue wirtschaftliche Dimension dar, nicht unbedingt zur Freude der Hotellerie.

Seewinkeleigenheiten

Besonders abweisend verhält man sich etwa im burgenländischen Seewinkel, wo die Gäste durch ein generelles Wohnmobilparkverbot ab 22.00 Uhr direkt an die ungarische Tourismuswirtschaft weitergereicht werden. Da bist du beim Heurigen noch nicht einmal mit dem Schmalzbrot fertig, hast du schon einen Strafzettel. Dabei gibt es viele Beispiele für gedeihliches Zusammenleben.

Doch dazu bedarf es einer Erkenntnis: Der Wohnmobilist ist kein Camper. Jedenfalls nicht zwangsweise mit Zelt- und Wohnwagenurlaubern in einen Topf zu werfen. So gibt es in Frankreich schon seit Jahrzehnten und in Deutschland in rasant steigendem Maß eigene Wohnmobilstellplätze, deren Infrastruktur auf die Wohnmobilreisenden zugeschnitten ist. Ein gut ausgestattetes Wohnmobil benötigt nämlich keine großartigen Sanitäreinrichtungen wie auf einem Campingplatz, sondern lediglich die Möglichkeit, regelmäßig Wasser nachzutanken und Flüssigkeiten und Mist zu entsorgen – und einen Stromanschluss, wer seine Energie nicht ohnehin mit der eigenen Solaranlage am Dach erzeugt. (Rudolf Skarics, 27.8.2016)

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